Nicht mitgemeint, sondern gar nicht gemeint Schon seit Beginn der feministischen Linguistik in den achtziger Jahren hat man mit der Sexusneutralität der generischen Maskulina gehadert: „Lehrer“, „Denker“, „Dealer“ seien keineswegs geschlechtsneutral, vielmehr dienten sie der Bezeichnung von Personen männlichen Geschlechts. Das Maskulinum wurde regelrecht sexualisiert. Ein Wort wie „Lehrer“ hätte die Bedeutung „handelnde Person und männlich“, ein Wort wie „Lehrerin“ hätte die Bedeutung „handelnde Person und weiblich“. Das Suffix -in würde das Merkmal „männlich“ gegen das Merkmal „weiblich“ austauschen. Durch das zweite Suffix entstünde keine speziellere Bedeutung, sondern lediglich ein Wechsel vom Merkmal männlich zum Merkmal weiblich. Ein solcher Prozess ist wortstrukturell prinzipiell ausgeschlossen. Es gibt ihn nicht und kann ihn nicht geben.Trotzdem wurde der Kampf gegen das generische Maskulinum zum sprachlichen Hauptanliegen der Genderbewegung. Das beginnt mit der Rede von „männlichen Wörtern“ statt von Maskulina und bedient sich der Formulierung, Frauen seien im generischen Maskulinum allenfalls „mitgemeint“. Nein, Frauen sind nicht mitgemeint, sondern als Gruppe gar nicht gemeint, ebenso wie Männer gar nicht gemeint sind. Wer das generische Maskulinum verwendet, ist vom Bezug auf ein natürliches Geschlecht befreit, er formuliert allgemeiner. Sprachen sind so gebaut, dass sie sehr wohl bestimmte grammatische Formen fordern, nie aber bestimmte Bedeutungsmerkmale erzwingen. Die Sprache ist voller Generika So findet sich im Aussagesatz stets eine Tempusform des Verbs, aber der Satz muss niemals einen bestimmten Zeitbezug haben. Unser Präsens bedeutet nicht lediglich „Gegenwart“, sondern es kann in Sätzen wie „Zwei mal drei ist sechs“, „Wale sind Säugetiere“ oder „Morgen besucht er sie“ ganz andere oder gar keine Zeitbezüge haben. Analog zum generischen Maskulinum lässt sich von einem generischen Präsens sprechen, und wenn man genauer hinsieht, zeigt sich auch ein generischer Singular beim Substantiv (in „Der Löwe ist ein Raubtier“ liegt keine Einzahl vor), und es zeigen sich zahlreiche weitere derartige Generika. Sie sitzen tief in der Grammatik und sind für eine semantisch freie Kommunikation von hoher Bedeutung. Die Sexualisierung des Maskulinums und des Femininums wurde bis in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts mit Energie betrieben, auch Jacob Grimm war mit einem konsequenten Animismus dabei. Seit den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts ist man eigentlich darüber hinaus, zumal sich diese Sicht auch historisch als falsch erwies. Das grammatische Geschlecht in den indoeuropäischen Sprachen ist durch die Unterscheidung von „belebt“ und „unbelebt“ (später Maskulinum und Neutrum) entstanden, erst als drittes Genus kam das Femininum hinzu mit einer Spezialisierung auf die Bezeichnung von Mehrheiten und Abstrakta („Freiheit“, „Sauberkeit“, „Bedeutung“). Im Deutschen sind bis heute viele Plurale („Mehrheiten“) identisch mit femininen Formen. Substantive verwenden im Plural die Artikelform „die“, das Personalpronomen lautet „sie“. Sollten Männer aus der Form „die Menschen“ etwa schließen, sie seien nur „mitgemeint“, gemeint seien eigentlich nur Frauen? Niemand kam bisher auf eine solche Idee, aber man weiß ja nie. Auch das Suffix -ling wird stigmatisiert Das generische Maskulinum zeigt seine Wirkung und Bedeutung in vielen weiteren Bereichen, namentlich bei Pronomina. Mit „Wer war das?“ fragt man nach einer Person unabhängig vom natürlichen Geschlecht, aber die Form ist maskulin. Man erkennt das an Sätzen wie „Wer das tut, den (*die) haun wir auf den Hut“. Die feminine Form „die“ ist ausgeschlossen. Ebenso bei „jemand“. Berühmt wurden Sätze wie „Kann jemand etwas von seiner (!) Schwangerschaft erzählen?“ Wieder ist die feminine Form („ihrer“) nicht möglich.Der Kampf gegen das generische Maskulinum hat viele Seiten: Bildungen mit „er“ werden ersetzt durch Partizipien, statt Richtern, Läufern und Trinkern sollen wir uns mit Richtenden, Laufenden und Trinkenden begnügen, die etwas ganz anderes meinen. Auch das Suffix -ling wird stigmatisiert, aus Flüchtlingen werden Geflüchtete. Statt „der Computer“ soll es nach radikaleren Vertretern des Genderns „die Computa“ heißen. Eine gängige Paarformel wie „Lehrer und Lehrerin“, in der nach den Regeln des Deutschen das längere Wort stets dem kürzeren folgt („Kind und Kegel“, „beten und arbeiten“) wird verkehrt zu „Lehrerin und Lehrer“. Was wie eine Höflichkeitsgeste Frauen gegenüber aussieht, erweist sich als Manipulation der Bedeutung: Die zuerst genannte geschlechtsspezifische Form „Lehrerin“ induziert für die folgende Form „Lehrer“ eine analoge, das heißt ebenfalls geschlechtsspezifische Lesung. Die generische Bedeutung von „Lehrer“ kommt nicht zum Zuge. Angela ist Physiker Besonders hervorgetan hat sich in diesem Kampf eine Broschüre mit dem Titel „Richtig gendern“ (Dudenverlag, 2017). Den Satztyp „Wer das tut, den (*die) haun wir auf den Hut“ kommentieren die Autorinnen, von denen eine bestallte Professorin für deutsche Grammatik ist, mit dem Satz „Als traditionell normgerecht gilt in diesen Fällen... nur die Wiederaufnahme mit den Maskulinformen.“ Gemeint ist, man könne sich ruhig über das „traditionell Normgerechte“ hinwegsetzen und sagen „Wer das tut, die haun wir auf den Hut“. Für den Satztyp „Wer das tut, der wird Sieger“ empfehlen die Autorinnen das Weglassen des Pronomens („Wer das tut, wird Sieger“), damit die grammatische Regularität gar nicht erst sichtbar wird. Und über den Gebrauch von Sätzen wie „Angela ist Physiker“, „Unsere Chefin ist ein geschickter Vermittler“ heißt es in Fettdruck: „Wir betonen jedoch ausdrücklich, dass wir diese Praxis NICHT empfehlen!“ Ganze gipfelt in der Behauptung: „Aus dem Sprachsystem des Deutschen ergibt sich kein sachlicher Grund für die Verwendung des sogenannten ‚generischen Maskulinums‘. Letzteres stellt eine bestimmte Art des Sprachgebrauchs dar, die verändert werden kann.“ Manipulation des Sprachgebrauchs, Manipulation der Sprachnorm und Ridikülisierung der Grammatik: der Preis, der für eine Anbiederung an den Zeitgeist gezahlt wird, ist hoch. Für Wissenschaftlerinnen viel zu hoch.Wir brauchen das generische Maskulinum im Deutschen und verwenden es auch spontan, ohne viel davon zu merken. Es gehört zum Sprachwissen, wo es um die Ausdruckskraft des Deutschen geht. Die Beispiele dafür sind Legion, nur ein paar wenige zur Illustration. In einer Zeitungsglosse liest man etwa: „Bisher galten Sandra Maischberger und Jörg Schönenborn als unbescholtene Journalisten.“ Die begnadete Pianistin Anastassiya Dranchuk sagte zu der ihr drohenden (inzwischen abgesagten) Ausweisung: „Es ist das Todesurteil für einen Künstler.“ Und aus Pyeonchang kam die Nachricht: „Unsere Bobfahrer sind der Stolz der Nation.“ Zu den Bobfahrern gehören Frauen ebenso wie Männer. Niemand hat das Recht, so etwas aus der Sprache zu verbannen.